Tage des Ruhms - Bloggen aus dem Krisengebiet

Braucht man in Krisengebieten künftig noch Korrespondenten und professionelle Reporter? Oder übernehmen in absehbarer Zukunft digital vernetzte Blogger die Informationsversorgung von den Hotspots der Welt? Diese Frage wird seit der Ägypten-Aktion des Münchner Bloggers Richard Gutjahr diskutiert. Gutjahr war auf dem noch friedlichen Höhepunkt der Proteste in Ägypten spontan nach Kairo geflogen und hatte dort via Twitter und seinem eigenen Blog aktuell von den Geschehnissen dort berichtet. Höchst subjektiv, als teilnehmender Beobachter. Aber auch höchst professionell produziert. Gutjahr ist gelernter Fernsehjournalist.

 

Die Aktion sorgte für Aufsehen im Netz. Innerhalb weniger Stunden schoss die Zahl von Gutjahrs Twitter-Follower um mehrere Hundert nach oben. Noch häufiger wurden seine mal informativen, mal witzigen, mal auch belanglosen Microblogeinträge retweetet. Zahlreiche herkömmliche Medien wurden aufmerksam und nutzten den Kontakt für die eigene Berichterstattung. Aber auch über die Aktion selbst wird heftig debattiert. Vor allem in der Bloggerszene wird Gutjahr als Bahnbrecher gefeiert. Martin Weigert etwa sieht in der Reise “ein hochinteressantes Experiment mit Symbolwirkung. Und ein Statement für Blogs als Form der persönlichen Publikationsplattform.” 

 

Ist das also die Zukunft des Journalismus? Ich denke, nur begrenzt. Keine Frage: Die Posts von Gutjahr geben mehr Einblick ins Geschehen am Tahrir-Platz als die ein oder andere in sterilen Redaktionsstuben erstellte Analyse. Sie sind auch besser geschrieben als die meisten drögen Agenturtexte. Das aber liegt nicht daran, dass Gutjahr ein unabhängiger Blogger ist. Das liegt daran, dass er sein Handwerk besser beherrscht, als viele Kollegen.

 

Gutjahr ist nicht der erste Blogger, der aus einem Krisengebiet berichtet. Aber selten wurde so professionell von dort gebloggt. DAS macht den eigentlichen Unterschied. Zu einer echten Konkurrenz für herkömmliche Medien werden Gutjahrs Beiträge erst, weil sie eben nicht nur irgendwie subjektive Eindrücke schildern. Sie vermitteln subjektive Eindrücke in einer höchst journalistischen, also leserorientierten Weise. Das aber relativiert den Jubel der Blogger etwas. Denn der eigentliche Mehrwert von Gutjahrs Aktion liegt nicht in der Tatsache, dass hier die Verlage ausgebootet wurden. Auch die Onlineseiten traditioneller Medienhäuser hätten diese Texte problemlos veröffentlichen können. Gutjahr spielt nur gekonnt die Vorzüge des neuen Mediums Inernet aus: Schnelligkeit und Multimedialität.

 

Die Frage ist: Hätte er diese Vorzüge ohne seinen professionellen Background ebenso nutzen können? Wohl kaum. Denn für die Präsentation in Blogs gelten eben die gleichen Regeln wie für herkömmliche Medien. Lesbarkeit, ansprechende und lebendige Darstellung, verständliche Sprache. Nur wenige Naturtalente kriegen diese Fähigkeiten bereits mit in die Wiege gelegt. Alle anderen müssen sie lernen. Das kann man natürlich auch als Blogger. Aber dann hat man eben eine gewisse Form von Professionalisierung, die ja für nicht wenige eben gerade den Unterschied zum herkömmlichem Journalismus ausmacht.

Außerdem funktioniert eine Aktion wie die von Gutjahr auch aus logistischen und finanziellen Gründen nur in Ausnahmesituationen. Aus logistischen Gründen, weil in kritischen Situationen eine Mannschaft im Hintergrund notwendig ist.

 

Spätestens als die Situation am Tahrir-Platz eskalierte, wäre das Risiko für einen alleinreisenden Blogger dort nicht mehr zu verantworten gewesen (und Gutjahr hat ja vernünftigerweise auch rechtzeitig abgebrochen). Wer aber liefert dann die notwendige Berichterstattung, wenn die Situation eskaliert? Und auch finanziell fehlen immer noch tragfähige Geschäftsmodelle für einen rentablen Blog. Es ist Gutjahr zu wünschen, dass er mit Flattr- und Spendeneinnahmen aus dem vielgelesenen Blog zumindest seine Reise- und Roamingkosten refinanzieren kann. Reich wird er damit aber wohl nicht geworden sein. Was bleibt, sind zwei Tage des Ruhms.

 

Die Aktion von Richard Gutjahr hat die Vorzüge von Online-Medien aufgezeigt. Zeitungen, Hörfunk und sogar das Fernsehen müssen sich warm anziehen. Bei genauerem Hinsehen aber hat die Aktion auch gezeigt, dass es auch künftig vor allem auf gutes journalistisches Handwerk ankommt. Das bremst die Enthusiasten einer neuen Internet-Öffentlichkeit – beruhigt aber auch irgendwie.